Es geht jetzt um die Wende in uns selbst

 

 

Diplom-Psychologe Helmut Vollmer beklagt Strohfeuer der Äußerlichkeiten - Nächstenliebe einüben und zum persönlichen Standard machen

Das Weihnachtsfest ist nicht unbedingt Garant für Harmonie und Frieden. "Ich hab` Probleme mit Weihnacht", gesteht der Diplom-Psychologe Helmut Vollmer aus Forstmehren. Er sieht den Sinn des Festes ziemlich missverstanden - zumindest sieht er ihn anderswo.

 

KREIS ALTENKIRCHEN. Glocken, Kerzen und Geschenke begleiten das gefühlvollste Fest der Christenheit. Helmut Vollmer sähe darüber hinaus gern, dass der ursprüngliche Sinn des Weihnachtsfestes besser zum Vorschein käme.

Was gefällt Ihnen nicht am Weihnachtsfest?

Gegen das Weihnachtsfest habe ich gar nichts. Vorbehalte melde ich an gegen den heutigen Umgang mit diesem kalendarischen Ereignis. Es veflacht immer mehr zu einer Orgie des Schenkens, wobei es oft um materielle Dinge geht, die mit dem Sinn des Festes nichts zu tun haben. In vorchristlicher Zeit war die Winter-Sonnenwende der Beginn einer Hoffnung auf einen Neubeginn im Frühling. Dieses heidnische Element des Wandels zur dauerhaften, zuversichtlichen Hoffnung auf die neue Ernte vermisse ich heute im christlichen Weihnachtsfest, obwohl es eigentlich seinen Kern ausmachen sollte.

Wie sollte der zivilisierte Mensch auch noch an irgend eine Ernte denken?

Es geht nicht vordergründig um Ernte, sondern um die zuversichtliche, dauerhafte Hoffnung auf eine Wende, die im christlichen Verständnis die Erlösung durch Jesus Christus bedeutet. Die heutige Praxis des Weihnachtsfestes gleicht immer mehr einem Strohfeuer von Äußerlichkeiten. Schon gleich nach dem Fest kehrt der Alltag zurück und alles ist wie vorher. Es wird so getan, als habe die Geburt des Erlösers keinerlei nachhaltige Wirkung. Was hier geschieht, ist punktuell, materiell und daher ohne große Bedeutung. Es geht jedoch um die Wende in uns selbst - um einen wirksamen Impuls, der die Hoffnung dauerhaft nährt.

Wie könnte man diese innere Wende beschreiben?

Es daran, den Kern der christlichen Botschaft neu zu erfahren und im Leben dauerhaft umzusetzen. Sage niemand, er wisse nicht wie das gehe oder wo er damit anfangen solle. Die Botschaft ist sehr einfach, wenn auf den ersten Blick auch etwas widersprüchlich. Der Schein trügt, denn man braucht ja nur das Gebot den Nächsten zu lieben wie sich selbst einmal umzukehren: Du sollst dich selbst so lieben wie den Nächsten.

Das hört sich allerdings etwas befremdlich an.

Mag sein, doch bin ich überzeugt, meinen Nächsten nur lieben zu können, wenn ich mich selbst angenommen habe, meine Schwächen eingestehe und mich als Geschöpf Gottes einordne, das wachsen und sich vervollkommnen kann. Wer seine Defizite verdrängt, und das kann auch übertriebene Eigenliebe sein, wird sich irgendwann hassen und diesen Hass auf seine Mitmenschen übertragen, denen er die Schuld an seiner unbefriedigenden Situation gibt. Wer sich realistisch einschätzt und trotzdem gern hat, wird sich auch bemühen, den Nächsten gern zu haben.

Wie kann ich ohne Kenntnis dieser Zusammenhänge trotzdem meinen Nächsten lieben?

In der Tat kommt es auch hier auf die Praxis im Alltag an. Wir müssen einfach liebesfähiger werden - und das will eingeübt sein. Dabei sollten wir uns nicht an großen Taten übernehmen, sondern den kleinen Dingen Beachtung schenken. Das gute Wort im Alltag, wo es keiner erwartet, der ermutigende Zuspruch, mit dem niemand rechnet, die Zusicherung, auch in schweren Zeiten nicht wegzulaufen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese schweren Zeiten tatsächlich kommen. Es geht darum, die Zuversicht aufzubauen, sie nicht einsam und allein durchstehen zu müssen.

Das Ekel soll sich also von heute auf morgen in einen sensiblen, hilfsbereiten, gütigen und rundum liebevollen Menschen verwandeln?

Das wird nicht funktionieren. Wir alle werden immer wieder ekelhaft sein und Rückfälle hinnehmen müssen. Entscheidend ist, dass wir unsere Gedanken, Worte und Werke mit den Maßstäben der Liebe messen und unser Fehlverhalten erkennen. Ständiges Bemühen ist eine gute Übung in Sachen Nächstenliebe, die sich dann verfestigen und zum persönlichen Standard werden kann.

Was tun Menschen, die Probleme haben, ihre Gefühle mitzuteilen oder überhaupt auf Mitmenschen zuzugehen?

Zu empfehlen sind Versuche mit niedriger Schwelle, die sich im Alltag eigentlich ständig ergeben. Auch das Telefon könnte eine Vorstufe zum persönlichen Kontakt sein - anstatt gedruckter Unverbindlichkeiten. Allerdings gilt es auch mit dem offenbar vorhandenen Irrtum aufzuräumen, Liebe sei eine ständige Flut von Beteuerungen. Hier kann sich sogar das Gegenteil äußern. Liebe erlaubt es, sich in den Nächsten hineinzudenken, ihn zu verstehen. Man ist dann zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle und zeigt, dass man verstanden hat und verstanden wird. Diese Gewissheit ist ganz wichtig, denn Verständnis hat nur, wer sich Gedanken gemacht hat, sich mit dem anderen beschäftigte. Sicher ist eine solche Art der Beschäftigung auch der Schlüssel zur Antwort auf die manchmal quälende Frage nach dem richtigen Weihnachtsgeschenk.

Die Fragen stellte Klaus Holl

 

 

 

 

 

24.12.2003 © RZ-Online (www)

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