Ein Foto aus Kanada: Der Sohn lebt | ||
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Heinrich Baum aus Forstmehren war mehr als fünf Jahre in Übersee in Gefangenschaft - Zweiter Weltkrieg endete vor 55 Jahren Von Gudrun Kaul |
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FORSTMEHREN Auf dem Wohnzimmertisch stapeln sich Fotos und
Broschüren, hinzu kommen Ehrenurkunden und Auszeichnungen - Dokumente
eines abwechslungsreichen, interessanten Lebens. Während Heinrich Baum
(78) aus seinem reichen Erinnerungsschatz berichtet, serviert Ehefrau
Hedwig Kekse und Kaffee. Wenn der rüstige Senior erzählt, wird Geschichte
lebendig.
Im kleinen, idyllischen Dörfchen Forstmehren (heute hat der Ort rund 150 Einwohner) erblickt Heinrich Baum als einziger Sohn von Heinrich und Anna Baum am 11. Dezember 1921 das Licht der Welt. Der Vater arbeitet im Walzwerk in Wissen, die Mutter kümmert sich als Hausfrau um die kleine Familie. Niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass Heinrich Baum im Frühjahr 2000 einmal der erste Ehrenbürger von Mehren werden wird. Die Weimarer Republik geht im Dritten Reich unter, und Heinrich Baum beendet 1936 die Volksschule. Was er werden will, ist für den 15-Jährigen keine Frage. Der "Backfisch", wie die Teenager damals genannt wurden, lernt Schriftsetzer bei der Firma Wilhelm Dieckmann in Altenkirchen. (Dort erschien damals auch die Altenkirchener Zeitung, ein Vorläufer der Rhein-Zeitung.) Heinrich macht die Ausbildung viel Freude, er lernt mit Elan, wird später bei einem Berufswettkampf sogar Kreissieger. Mit 20 in Gefangenschaft Nach der Lehre kann der Forstmehrener kaum noch weitere Berufserfahrungen sammeln, denn er wird 1940 zum Arbeitsdienst nach Elsass-Lothringen geschickt. Ein Jahr später (1941) folgt der Kriegsdienst. Den Einberufungsbefehl, leicht vergilbt aber gut erhalten, hat Heinrich Baum bis heute aufgehoben. Bei der Untersuchung fällt er in die Kategorie "tropentauglich". Im Nachhinein betrachtet vielleicht ein Glücksfall, denn als Heinrich Baum 20 Jahre alt wird, ist der Krieg für ihn bereits beendet. In Deutschland endet der Zweite Weltkrieg am 9. Mai 1945 mit der Kapitulation. Für den jungen Westerwälder soll es noch zwei Jahre dauern, bevor er 1947 endlich nach Forstmehren zurückkehrt. Nach kurzer Ausbildungszeit in Bitburg lautet Baums Marschbefehl "Afrika". Von Italien aus geht es mit Überseedampfern nach Tripolis. "Zwei Schiffe wurden von U-Booten torpediert", erinnert er sich. Der Forstmehrener kommt zwar heil an Land, gerät aber bereits Anfang Dezember 1941 mit seiner Einheit in Gefangenschaft: "Wir wurden von Neuseeländern und Australiern in der Nähe von Alexandria gefangengenommen." Sein 20. Geburtstag (11. Dezember '41) hat sich nachhaltig in sein Gedächtnis eingebrannt: "Wir Kriegsgefangenen mussten durch Kairo marschieren." Im Frühjahr 1942 ist er zusammen mit rund 4000 deutschen Kriegsgefangenen auf der "Queen Elisabeth", dem damals größten Schiff der Welt (83 000 BRT), via Suezkanal und um Südafrika herum unterwegs nach Nordamerika. Den Eltern Baum daheim in Forstmehren bleibt nur die Ungewissheit und ein Fünkchen Hoffnung, denn Sohn Heinrich gilt als vermisst. Erst im Sommer 1942 erhalten sie Nachricht - aus einen Kriegsgefangenenlager in Lethbridge in der Nähe von Calgary in Kanada. Später darf Heinrich Baum auch Fotos schicken. Die Bilder hat er sorgfältig aufbewahrt. Da gibt es Gruppenbilder junger Männer (alle so um die 20) in gepflegten Uniformen, die (scheinbar?) zufrieden in die Kamera blicken. Die Fotos durften auch nach Hause geschickt werden. Für viele Familienangehörige in Deutschland endet mit dem Eintreffen der Bilder die quälende Ungewissheit, galten doch manche Gefangene seit Monaten als vermisst. Heinrich Baum lebt zwar in einem Holzfällerlager in den kanadischen Rocky Mountains, gehört aber zur "Backschaft" - er arbeitet im Küchenbereich. Rund 12 000 Gefangene sind im Lager in Lethbridge, da~runter auch junge Männer aus dem Raum Altenkirchen. Manche damals geknüpfte Kontakte bestehen heute noch, "aber", sagt er bedauert, "es leben immer weniger." Über Schottland zurück Im Sommer 1946 geht es endlich von Kanada zurück in Richtung Heimat. Erst einmal nach Schottland - die jungen Deutschen werden als Erntehelfer in der Nähe von Edinburgh gebraucht. Im Januar 1947 ist Heinrich Baum wieder in Forstmehren, wo er sich schnell wieder einlebt. 1941 bis 1947 - sechs im Grunde verlorene Lebensjahre. Sechs Jahre, in denen andere für Heinrich Baum entschieden. Ohne den Zweiten Weltkrieg wäre sein Leben sicher anders verlaufen. Vielleicht hätte er später studiert, vielleicht den Westerwald verlassen. Aber, schränkt Hedwig Baum ein, "in unserer Jugend hatte kaum jemand Geld zum Studieren." Zurück in der Heimat stürzt sich Heinrich Baum mit Elan in den Beruf, macht noch 1947 seine Meisterprüfung als Schriftsetzer. Im selben Jahr lernt er in Weyerbusch Hedwig Stinner aus Mudersbach kennen, im November 1949 wird geheiratet. In den folgenden Jahren erblicken zwei Töchter das Licht der Welt und in Forstmehren baut die Familie ein neues Haus. 34 Jahre lang, von 1950 bis 1984, ist Heinrich Baum als Schriftsetzer bei der Verlagsgruppe Stoof in Köln beschäftigt. Das Unternehmen, rund 600 Mitarbeiter, produzierte hauptsächlich Sportzeitungen. Jeden Tag pendelt Baum zwischen Forstmehren und der Domstadt, erst mit dem Pkw nach Eitorf, dann mit dem Zug nach Köln. Was würde der rüstige 78-Jährige tun, wenn er unverhofft eine Million Mark bekäme? Baum und seine Frau denken lange nach. "Ein altengerechtes Haus ohne Treppen bauen, aber unbedingt in Forstmehren bleiben", überlegen sie dann. Und gerne würde Heinrich Baum seinen Besuch in Kanada noch einmal wiederholen. Aber das bleibt, wie er selber meint, wohl doch nur ein Traum. |
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Rhein-Zeitung vom 06.05.2000 |